Ritter Butzke und Radical Oriental, Berlin


Es war zum wehtun kalt in der Hauptstadt, aber hier liefen sie alle Knöchelfrei in Hochwasser Hosen herum. Stell dich mit deinen Wollsocken und langer Hose nicht so an, sagte ich mir und stieg in die Ringbahn ein. Mein erstes Ziel war die neue Bleibe von unserem Kollegen Claus Fussek. Er war jüngst von Wiesbaden nach Berlin Weißensee gezogen und freute sich schon auf unseren Besuch.
Wir hatten ihm auch ein unerwartetes Willkommensgeschenk mitgebracht. Brot und Salz war gestern, heute Nacht gab es stattdessen ein Booking bei dem Surrealen Clubfestival von der 3000grad Crew im Ritter Butzke. Claus seine Spielzeit war vor unserem Auftritt, also auch in der so Western-mäßig mit Holz ausgebauten Bar. Die Schwingtüren am Eingang zum Saloon gab es übrigens auch. Wir alle hatten somit zum Einstieg in unser gemeinsames Wochenende eine ideale Grundlage. Dank den gemütlichen Leder Couches konnten wir uns nach dem Aufbau und Test unserer Technik, erstmal locker machen. Claus ist der Meister seines Faches, die Auswahl seiner Tracks ergaben eine langsame und atmosphärisch verführerische Stimmung. Sie wirkte sich direkt ganz magisch auf alle Anwesenden Zuhörer aus. Sofort hatte ich den Rekorder von Jahneck aus seiner Tasche gekramt und an das Mischpult angeschlossen. Hoffentlich hatte ich alles richtig gemacht, ging mir durch den Kopf. Wird schon..
Die Türen wurden für das Publikum um genau 23 Uhr geöffnet. Es ging los. Wie eine Flut,besser ausgedrückt war es wie als ob jemand einen Lichtschalter betätigt hätte, wurde die Bar von Tänzern jeglicher Herkunft und Couleur belebt.
Diese Nacht blieb mir als ein illustres Erlebnis in Erinnerung. Und nicht nur weil die aktuelle Kleidermode einfach alles erlaubte was möglich war. Ich war noch nie wirklich ein fashion victim, aber die von dem Träger ernsthaft gemeinte Kombination von einer in grellem Pink leuchtende Hose mit einem hauteng sitzenden Tarncamouflage in braun und einer blauen Badekappe mit sich bewegenden Gummifäden auf dem Kopf war schon beeindruckend. Mir war in dem Moment nicht so ganz klar, ob der Style sich nur auf dies Partyszene auswirkte. Aber nein, draussen liefen viele auch in diesem wild mix Style herum.

Das 3000grad Team hat es einfach raus die Räume für diese psychedelischen Anlässe zu gestalten. Überall auffällige Farbspiele, deinen Blick fangende Objekte und Dekorationen. Dazu die Vielzahl der umher gehenden und stehenden Schauspielergruppen, welche den Beobachter schnell in ihren Bann gezogen hatten. Mir war es mehrmals passiert, gar nicht mehr zu wissen ob das was eben auf meiner Bildfläche abgelaufen war, Realität oder Fantasie war.
Ob da nun wirklich ein sein Waldhorn blasender Elfenmann in seinem Waldoutfit gestanden hatte, kann sowieso keiner mehr herausfinden.
Um 2 Uhr starteten wir mitten im bunten Gewühl der Hütte mit unserem Auftritt..
Ritter Butzke und Radical Oriental, Berlin
Uns wurde gesagt das wir bis um 6 Uhr spielen sollten, aber es kam niemand zur Ablöse. Es hatte uns allen so viel Spass gemacht und wir bemerkten nicht das es draußen schon hell war. Es war schon 10 nach 8, aber keinen Plan was nun zu tun war. Weitermachen schien mir nicht so klug. Wir wollten ja heute Abend bei Oriental Radical im Loftus Hall ebenfalls eine knackige Show bieten. Nur was tun ?
Um uns herum schwebten die marrokanischen Bauchtänzerinnen in verzückter Ekstase, da hinten feierte eine Gruppe skandinavischer Frühraver ihren Einstand und vor uns waren südamerikanische Tänzer voll am abgehen. So etwas erlebten wir nicht alle Tage, man musste aber immer dann aufhören, wenn es am schönsten war. Natürlich hatte der Barkeeper einen guten Musikmix in seinem Player und konnte uns ablösen.

Nach ein paar geschlagenen Stunden Schlaf bei Claus in Berlin- Weißensee schepperte mein Telefon laut los. Das Ende unserer Regenerationszeit wurde eingeläutet. Wir hatten uns noch schnell etwas essbares zwischen die Kiemen gesteckt und mit etwas kalten Kaffee von Gestern nachgespült. Mit einem Taxi wurden wir simsalabim vor den Club mit dem Namen Loftus Hall chauffiert. Meine Unausgeschlafenheit hatte sich nämlich mit der Berliner Eiseskälte überhaupt nicht anfreunden können.
Und schon waren wir wieder in einer sehr angenehmen Situation gelandet, in meiner Erinnerung schien mir die Lounge des Ladens wie ein chinesisches Restaurant, nur ohne Asiagewürz Armoa. Anstelle von einer Speisekarte gab es anständige Lautsprecher an der Wand montiert und die Tische mit Stühlen wurden mit einer Armada von Couches getauscht. Die Gegebenheiten erinnerten mich stark an eine in den 90er Jahren etablierte Bar in Wiesbaden. Das 2SE, ebenfalls ein umfunktioniertes China- Restaurant. Das war aber eine andere Geschichte. Hier hatte ich mich direkt wie zuhause gefühlt. Und das lag auch an der Tatsache das hier sehr spezielle, von mir favorisierte Musik aus den Speakern kam.
Da war wie angekündigt Çaykh der fast verlorengegangene Musik vom Horn Afrika´s mitgebracht hatte. Wenn ich mich nicht täusche, ein musikbegeisterter Sammler aus Hamburg. Es gab auch schon eine Veröffentlichung von ihm, sehr empfehlenswert ! Einflüsse aus Funk, Soul und Reggae, versammelt auf der Platte “Sweet As Broken Dates“, die sogar Grammy-nominiert wurde!

Wir waren in diesem Augenblick am hinweg schmelzen. Der Veranstalter dieser einzigartigen Situation kam wie gerufen um die Ecke und begrüßte uns freundlich mit ein paar Getränkemarken. Wir dankten ihm ebenfalls für die Einladung und begaben uns direkt zum Dancefloor und dem damit verbundenen DJ Pult. Hier klärten wir schnell, welche technischen Geräte wir gerne wo und wie aufgebaut hätten und schon ging es los. Nur mit welcher Art Musik war immer die Kardinalfrage. Besonders Knifflig zu beantworten wenn man in einer fremden Stadt, insbesondere in Berlin, am auftreten war. In der Hauptstadt, so glaubte ich oft, war das Publikum viel verwöhnter was die Musikauswahl eines Acts betraf. Eine von mir eingebildete gigantische Erwartungshaltung machte mich die ersten male in Berlin etwas unsicher, das legte sich mit der Zeit. Es war ja klar das jeder Zuhörer einfach nur nach seinem Ermessen gute Musik erwartete. Und um genau diesen Wunsch zufrieden zu stellen, am besten sogar noch weit über das Unvorstellbare hinaus zu kicken, sind wir mit vollem Einsatz dabei.
Wieder zurück zur Frage, was spielen wir denn jetzt für einen Song ? Wir hatten uns für einen dem orientalischen Motto entsprechenden Thema mit kraftvoll langsamen Beats entschieden.
Ritter Butzke und Radical Oriental, Berlin
Das Lied war lang genug für unseren Aufbau und stellte klar, in welche musikalische Richtung es nun ging. Erstmal langsam in orientalischer Manier mit clubbigen Beats. Die Leute gingen mit und wir waren glücklich in Berlin gut anzukommen. Plötzlich kam Janeck aus einer dunkle Disco Ecke vor Freude im Gesicht strahlend auf mich zu, und berichtete mir von Derya Yildirim. Die meisterhafte Sängerin der volkstümlichen und psychedelischen Musik aus Anatolien. Ihr aktuelles New Turkish Wave Release auf Vinyl war schon längst ausverkauft. Aber sie war mal eben in der Lounge aufgetaucht und chillte auf dem Sofa, gleich neben dem DJ, herum. Nicht vergessen, wir waren ja in der Hauptstadt Berlin.


Bericht von Michalis Boumbalis 19.&20.01.2018